Recherche-Reise in NYC. Tag 1.
Ob ich mir das zu leicht vorgestellt habe?
Heute ist gerade mal der erste ganze Tag und schon habe ich das Bedürfnis mir meine Gedanken aus dem Kopf zu schreiben. Denn gerade fühle ich mich komisch. Ich fühle mich super gut und gleichzeitig super schlecht. Dieser Gedanken- und Gefühlskampf macht mich gerade etwas fertig.
Auf der einen Seite denke ich wie glücklich und dankbar ich bin meine Zeit hier verbringen zu dürfen und was für ein Privileg das ist mir das leisten zu können. Die Stadt gibt mir einfach so viel Energie und ich liebe dieses Gefühl zwar unter so vielen Menschen, aber doch für sich, zu sein. Auf der anderen Seite fühle ich mich überfordert und denke: „fuck“ (Wie die New Yorker gerne zu allem sagen). Vielleicht habe ich mich überschätzt, vielleicht bräuchte ich viel mehr Zeit, vielleicht hätte ich mich viel besser vorbereiten müssen und eigentlich könnte ich hier einen Buddy vor Ort ganz gut gebrauchen. Woher kommt plötzlich dieses Gefühl? Ich glaube, das ist genau das wovor ich vor meiner Abreise Angst hatte, weil ich bis zur letzten Minute non stop mit anderen Dingen beschäftigt war und ich mich geistlich nicht auf die Arbeit hier einstellen konnte.
Ich liebe New York einfach – und auch obwohl ich jetzt schon das dritte mal hier bin – haut es mich einfach um. Es fängt schon bei der Einreise am Flughafen an. Dieser Teppichboden am Flughafen, so kitschig aber typisch amerikanisch dass man ihn doch hinnimmt. Die patriotische Musik die im Hintergrund läuft und die USA-Imagefilme die unscharf auf alten Flatscreens vor sich hin flackern. Das unnötige Personal das einem sagt das man hier rechts gehen muss, wo man doch sowieso nur rechts gehen kann. Hach … Geschmacklos hoch drei aber eben New York. Bei der Passkontrolle habe ich natürlich angegeben dass der Grund meiner Reise hauptsächlich beruflich ist, denn Border Patrol Kanada hat mich gelehrt das man an dieser Stelle besser nicht lügen sollte. Trotzdem ist der Beamte super nett zu mir und fragt weiter was ich denn hier so vor habe. Ich antworte dass ich Recherchen für einen Foodguide betreibe den ich schreibe. „But i have a publisher in Germany“ füge ich noch schnell als Halbwahrheit hinzu, damit er sicher sein kann dass ich in den USA nicht einen Verleger suchen und hier Geld verdienen möchte. „Thats cool!“, antwortet er und sagt weiter „eating all day long and then still looking skinny as you do. How do you do this?“. Hach, USA, du und deine nicht ernst zu nehmende Freundlichkeit …. Aber mal im Ernst. Wir haben beide gelacht und sind mit einem Lächeln weiter gegangen. Tut es denn so weh nett und freundlich zu sein auch wenn es oft oberflächlich und vielleicht nicht ganz ernst gemeint ist? Deutschland könnte sich davon auf jeden Fall mal eine dicke Scheibe abschneiden … von diesem ungesunden aber sehr freundlichem Stück Weißbrot.
Angekommen in meinem AirBnB – neuer Flash – ein 170 Quadratmeter Loft direkt in Tribeca. Die Vermieterin eine verrückte alte Damen vor dem Herren. Lilli ist 62, Italienerin und vermietet 3 Zimmer in ihrer Wohnung. Sie gibt mir gleich ein Küsschen und weist mich in die Geheimnisse und Eigenheiten der Wohnung ein die über und über mit skurrilen künstlerischen Gegenständen dekoriert ist. Ein bisschen boho, ein bisschen arty, etwas mittelalterlich, ein wenig crazy aber vor allem eins: absolut New York! Sie warnt mich vor, ab und zu kann es sein dass ihr „hubby“ hier rumhängt. Ich soll mich nicht wundern, er ist sehr Schwarz und könnte ihr Schwiegersohn sein lacht sie. Achja, und Jazz-Musiker ist er auch. Sie schließt gleich ihr Macbook an die Anlage an und spielt mir die Youtube Videos ihres kleinen Jazz-Stars auf voller Lautstärke vor. Ob es mich stört wenn sie in ihrem Zimmer raucht, fragt sie mich, dem Geruch und der Optik nach zu urteilen offensichtlich mit einem Joint im Mund. Ich sage „no, i mean, it’s your house, right?“, lache und denke: Now you’re in New York!
Ich bin total aufgedreht (hoffe das liegt nich passiv am Gras) und beschließe noch eine Runde zu drehen, aber nur im Viertel, denn ein weiterer AirBnB’ler kommt demnächst und Lilli, meine Vermieterin, hat ihm meine Nummer gegeben da sie jetzt zum Unterrichten muss.
Also laufe ich etwas herum, etwas überfordert von meinem Glück und geschockt von dem eiskalten Wind der einem das Laufen erschwert und das Haarspray von vorhin überflüssig macht. Ich lande an der Promenade des Hudson River und bin wirklich erstaunt wie schön dort alles gemacht wurde. Für Läufer- und Läuferinnen die perfekte Jogging-Strecke, für den Rest der Bevölkerung gibt es hier Hundeparks, Tennis- Volleyball- Fußball- und Golfplätze, eine Skaterbahn, Kinderspielplätze, viele Bänke und Sonnenliegen sowie Grünflächen. Ich laufe weiter gen Norden und biege dann rechts nach Soho ab und laufe die Straßen in Block-System einmal hoch und runter und komme dabei an ein paar Filmsets vorbei. Was wird hier gedreht? „Blue bloods“ verrät die Genehmigung die an der nächsten Laterne hängt. Aha, keine Ahnung was das ist . Ich gehe noch schnell in Chinatown vorbei und hole mir im Elektromarkt 2 Steckdosenadapter. Auch hier wieder ein schöner New York Moment:
Ich bin die Zweite an der Kasse, eine Frau kommt, sieht uns zwei wartende Menschen und flüstert vor sich hin: „Oh jesus, so many fucking people!“. Nicht nett, aber ich liebe es.
Nachdem ich im Flugzeug auf das durchgefrorene Brot und den Nachtisch verzichtet habe, kriege ich nach 26 Stunden wach sein wieder hunger und setze mich in die nächste Juice bar und schnappe mir einen schönen gelben, frisch gepressten Saft und einen Bagel. 17 $ macht das bitte. Das der Saft den ich da gekauft habe „spicy“ ist und quasi fast nur aus Ingwer und Cayenne-Pfeffer besteht merke ich erst später und würge ihn für diesen Preis herunter – Schweiß bricht langsam aus . Das muss dieses DETOX sein von dem alle immer reden und gesund ist diese geballte Ladung Vitamine und Antioxidantien bestimmt auch. Puh – das nächste mal besser das Etikett lesen, liebe Isabel.
Nachdem ich ein bisschen dem Sonnenuntergang am Hudson-River zugesehen habe, es mir dann aber definitiv zu kalt wurde, bin ich wieder zurück in die Wohnung gegangen. Gut für Erick – „der Neue“ in der Wohnung – der genau 10 Sekunden danach anruft und sagt das er vor dem Haus steht. Also wurstel ich mich erneut durch die 7 Schlüssel an meinem Bund, hole ihn mit dem Aufzug ab und weise ihn in die Wohnung ein als wäre es meine – like a pro.
Ich bin müde und will in’s Bett, also gehe ich in’s Zimmer, schlüpfe in mein Schlafoutfit und schließe die Tür. Irgendwann taucht Lilli auf und kommt nochmal mit einem Typen in mein Zimmer der sich die Wohnung ansehen will – seine Freundin hat er per Facetime dabei. Ich sitze auf dem Bett und winke einmal in’s Display.
Dann geht die Tür wieder zu und ich schließe die Augen. Jazz Musik die sich außerhalb der Zimmerlautstärke bewegt macht sich breit. Bestimmt zeigt Lilli den beiden Gästen aus Zürich ihren Hubby auf Youtube. Zum Glück habe ich die Ohropax noch eingepackt, stecke sie in mein Ohr und schlafe ein.
Der nächste Tag. Es ist 7 und ich werde wach. Super – das WLAN geht nicht. Also liege ich da und plane den Tag. Flipflops habe ich vergessen und Mülltüten brauche ich auch. Außerdem bin ich heute noch nicht bereit dafür gleich mit der Recherche loszulegen. Hm … 7:10 Uhr, das WLAN geht immer noch nicht und meine Tagesplanung ist abgeschlossen.
Also stehe ich auf, mache ich gemütlich fertig und verlasse die Wohnung gegen 8. Ich drehe eine kleine Runde und lande wieder am Hudson River. Ich glaube das wird jetzt mein morgendliches Ritual, ein kleiner Ausflug an den Hudsonriver Park. Schön wäre es wenn ich in Zukunft dabei auf diesen verdammten Wind verzichten kann, dann nehme ich vielleicht auch mal meine Laufschuhe mit.
Mir ist kalt, also komme ich nicht super weit und setze mich in’s Maman. Ein Café das sowieso auf meiner Liste stand. Hach schön ist’s hier. Ich hole mir einen Americano in tall. Der kommt „zum hier trinken“ selbstverständlich auch im Pappbecher – der ist dafür aber sehr schön. Dazu gibt’s auf Empfehlung des Hauses einen Chocolate-Chip-Cookie mit Nüssen. Den mag Oprah anscheinend auch ganz gerne denn er steht auf der Liste ihrer New York Favorites. Also mache ich es mir gemütlich, logge mich in’s WLAN und bearbeite noch ein paar Dinge die in Deutschland liegen geblieben sind.
Nach 2 Stunden gemütlichem Verweilen denke ich, dass ich langsam mal wieder aufbrechen sollte. Aber wohin? Ich möchte noch nicht mit der Recherche für den Reiseführer beginnen. Fühle mich irgendwie noch nicht bereit dafür. Im Maman habe ich gemerkt. dazu brauche ich Ruhe, Zeit und eine bessere Vorbereitung. Außerdem sollten doch bitte weniger Menschen da sein.
Na super – ein toller Start oder? Ruhe, Zeit und wenige Menschen, das ist New York ja wohl nicht zu viel verlangt, oder?.
„Ganz klasse“, denke ich. Wie soll das denn die nächsten Tage weitergehen? Ich denke kurz nach und ziehe meine Schlüsse die ich mir bis morgen verinnerlichen und antrainieren muss: Die anderen Menschen müssen mir egal sein, es darf mir nichts ausmachen aus komischen Winkeln und Positionen zu fotografieren um das perfekte Foto zu erhalten, außerdem muss ich mich gut vorbereiten und vorab besser zu dem Laden recherchieren. Bestenfalls auch nicht zu den Rush hours kommen. Das klingt jetzt tatsächlich nicht schwer aber ich glaube die größte Hürde ist, dass es mir einfach egal sein muss was die Leute von mir denken. Denn es ist mein Job. Ich bin hier um diesen verdammten Foodguide zu schreiben.
Mit dieser Erkenntnis trete ich erneut einen Spaziergang an um mich vor meinen Verpflichtungen zu drücken.
Ich laufe entlang des Hudson Rivers nach Süden bis ich irgendwann in meiner linken Fußsohle einen stechenden Schmerz verspüre. „Fuck“ – sage ich laut. Ich will ja auch als echter New Yorker durchgehen ; ) Beim Versuch weiterzugehen merke ich, dass es nicht so recht geht und muss mir eingestehen dass ich jetzt schon Blasen habe und von jetzt an ein wenig verkrüppelt weiterlaufen muss. Den Spaß am Spazierengehen habe ich von da an verloren. Also humple ich zum nächsten TK Maxx und kaufe mir Flip Flops. Die hatte ich ja für den Gang vom Zimmer bis zum Bad zu Hause vergessen. Ein paar Socken und ein T-Shirt von Calvin Klein (come on – es ist von 35 auf 15 $ reduziert!!) schaffen es auch in den Einkaufswagen und schwups werden schon wieder 38 $ von der Kreditkarte abgebucht. Ich laufe weiter in der Hoffnung etwas gemütliches zum Essen und für’s in’s WLAN einloggen zu finden und lande in Soho im Pain Quotidien.. Einen Ort an den ich mich gerne zurück erinnere. Denn vor 2 Jahren haben wir uns hier voller Adrenalin eine Pause gegönnt nachdem wir Paul Rudd begegnet sind. Ich möchte eine sunny side breakfast bowl um meine Stimmung ein wenig zu heben. Diese wird mir leider verwehrt weil es um 15 Uhr keine Frühstücksgerichte mehr gibt. Pfff – lächerlich. Also wird daraus ein Avocado-Toast mit Lachs. Für 16 $. Juhu – ich höre in meinen Kopf nur eine imaginäre Kasse „ka-ching“ machen und genieße das wohl teuerste Avocadobrot der Welt. Und gerade wo ich diesen Satz zu Ende schreibe erinnert mich ein vorbeifahrendes NYPD-Auto mit voll aufgedrehter Sirene dass ich mich jetzt mal am Riemen reißen soll.
Ich sitze in NYC, einer Stadt die einfach Wahnsinn ist, in einem tollen Restaurant an einer langen Tafel, mit verschiedenen fremden aber freundlichen Menschen die vor ihre MacBooks sitzen und arbeiten während sie ihr maßlos überteuertes Avocadobrot essen, höre im Hintergrund klassische Musik und habe hier noch 40 Tage vor mir. Was für ein Glückspilz ich doch bin.
Also – ab morgen gilt: warm anziehen und verdammt nochmal das zu tun wozu ich da bin. Und zwar ohne Hemmungen mich mitten in den Raum zu stellen und mein Essen zu fotografieren. Das macht doch sowieso jeder hier, oder?
Falls jemand jetzt tatsächlich bis zum Ende gelesen haben sollte, vielen Dank. Falls nicht – wow – dieses Gefühlschaos hier runterzuschrauben hat mir sehr geholfen. Vielleicht wird das meine Therapie für die nächsten Wochen.